Neue Studie mit Spiegeltest mit Tieren: Selbsterkenntnis des Huhns

Intelligenz von Tieren

Deshalb sind Hühner intelligenter als der Mensch dachte

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AUTOR/IN
Kristina Koch

Ob sich ein Tier in seinem Spiegelbild selbst erkennt, gilt in der Forschung als Beleg für ein Ich-Bewusstsein und soll Aufschluss über die kognitive Leistung geben. Eine deutsche Studie denkt den Spiegeltest neu. Das Ergebnis: Auch das Huhn erkennt wohl sein Spiegelbild.

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Nur wenige Tierarten haben bisher den Spiegeltest bestanden: darunter einige Arten von Menschenaffen, Elefanten, Schweine, Delfine, Elstern – Und nun auch Hühner? 

Mithilfe des Spiegeltests wird seit 50 Jahren erforscht, ob Tiere ein Ich-Bewusstsein haben. Die Fähigkeit, ein reflektiertes Spiegelbild als das eigene wahrzunehmen, gilt als ein artenübergreifendes Merkmal der Kognition, also der Fähigkeit zu denken, lernen und verstehen.

Das erste Tier, das den Spiegeltest bestanden hat: Ein Schimpanse begutachtet sich selbst mit einem Handspiegel
Die Selbsterkennung im Spiegel soll mit dem Ich-Bewusstsein verknüpft sein. Eine Eigenschaft, die man lange nur dem Menschen zugeschrieben hat. Schimpansen waren die erste Spezies, mit der der Spiegeltest gemacht wurde.

Der Spiegeltest in der Kritik 

Durch den klassischen Spiegeltest sind Hühner bislang durchgefallen. Die Forschenden der Universitäten in Bonn und Bochum hinterfragen die Methodik des Tests. In ihrer Studie mit Hähnen passen sie die Versuchsanordnung an das ökologische Verhalten der Tiere an. 

Sie kritisieren: Getestete Tiere bestehen den klassischen Spiegeltest womöglich nicht, weil sie sich unwohl fühlen. Darüber hinaus sei die Testmethode nicht für jede Spezies geeignet. Dass ein Tier sich für sein Spiegelbild interessiert und deshalb die im Spiegelbild erkannte Markierung an sich selbst untersucht, ist eine Annahme, die aus dem menschlichen Verhalten abgeleitet wird. 

Cartoon: vermenschlichtes Huhn in Pelzmantel steht vor einem Spiegel. Selbsterkennung sieht bei Tieren anders aus.
In der Forschung werden oft Annahmen aus menschlichen Denkmustern abgeleitet, die deshalb nicht für jedes Tier machbar sind - ohne Aufschluss über die Intelligenz der Tiere zu geben. Hinzu kommt, dass der Spiegeltest von westlicher Kultur geprägt ist.

Ich-Bewusstsein: Neue Herangehensweise beim Spiegeltest bringt neue Erkenntnisse 

Hühner haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Wenn Gefahr durch ein Raubtier droht, gibt ein Hahn einen bestimmten Alarmruf ab, um seine Hühner zu warnen.

Um ein natürliches Verhalten in der Versuchsumgebung beim Spiegeltest herzustellen, machen sich die Forschenden dieses Alarmrufverhalten und den sogenannten Publikumseffekt zunutze. Letzteres heißt, dass sich das Verhalten ändert, je nachdem ob andere Hühner anwesend sind.

Indem die Forschenden beim Spiegeltest durch die Projektion eines Greifvogels Gefahr simulieren, schaffen sie eine Motivation für den Hahn, sich entsprechend zu verhalten und einen Warnruf abzugeben.

Aus dem Alarmrufverhalten lässt sich ableiten, ob dem Hahn bewusst ist, dass er alleine in der Testarena ist. So gehen die Forschenden beim Ausbleiben der Warnrufe davon aus, dass das Tier den Hahn im Spiegel als sich selbst erkannt hat und das Spiegelbild nicht für einen Artgenossen hält – dementsprechend also nicht warnt.

Das Ergebnis: Tatsächlich gab es mit einem Artgenossen auf der anderen Seite des Gitters viermal mehr Warnrufe als wenn der Hahn alleine war und sich im Spiegelbild gesehen hat. 

Hahn mit Huhn auf einer Wiese
In Deutschland halten wir pro Jahr ungefähr 550 Millionen Masthühner und 50 Millionen Legehennen.

Wie viel Aussagekraft hat der Spiegeltest?

Auch Hunde und Katzen bestehen den klassischen Spiegeltest nicht. Hundebesitzer schreiben ihren Haustieren dennoch eine gewisse Intelligenz zu, während Hühner nicht für intelligent gehalten werden. 

Hunde verstehen zwar nicht, dass der Hund im Spiegelbild sie selbst sind, aber sie waren in der Lage, den Spiegel als Werkzeug zu nutzen, um Futter zu finden. In der Tierforschung bezeichnet man das Verhalten von Tieren, Werkzeuge zu nutzen, als „Tool-Use“ oder „Werkzeuggebrauch“. Dabei handelt es sich um eine Form der Intelligenz, die bei vielen verschiedenen Tierarten beobachtet werden kann. 

Das macht deutlich, dass die Aussagekraft des klassischen Spiegeltests nicht ausreicht, um die Komplexität der tierischen Hirnfunktion zu erfassen. Auch Hühner dürfen nicht unterschätzt werden, sagt Dr. Inga Tiemann von der Universität Bonn:

Wer täglich mit den Tieren arbeitet weiß, dass Hühner recht smarte Tiere sind und viele verstecke Fähigkeiten haben.

Ihre Bonner Kollegin Sonja Hillemacher kritisiert, „dass bisher die Ergebnisse aus dem klassischen Spiegeltest nur ein sehr binäres Bild abgegeben haben. Es gab nur schwarz und weiß und nichts dazwischen.“ Im Tierreich sei vielmehr von einem graduellen Modell auszugehen, mit verschiedenen Abstufungen von Selbsterkennung und kognitiven Leistungen.

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